»Ehrlich, das willst du anziehen?«
Die Nase rümpfend, ging meine Mutter zur Kommode und holte ein paar
Handtücher heraus. Das Nähzimmer, in dem ich vorübergehend wohnte,
war klein, aber durch das große Fenster recht hell. Nur die
ausklappbare Couch tat meinem Rücken nicht besonders gut.
»Wieso?« Unsicher blickte ich in den
Spiegel und betrachtete das grüne Strickleid, das ich mir erst vor
einem Tag gekauft hatte. Dazu trug ich weiße Leggins und kuschelige
Ugg-Boots.
»Ich weiß auch nicht«, sagte sie und
begann an dem Saum des Kleides zu zupfen. »Irgendwie trägt das
auf.«
»Du meinst, ich seh fett aus?«
»Es macht dich eindeutig dicker. Nicht
dick. Du bist ja nicht dick. Also, noch nicht.«
»Danke, Mama.« Ich griff nach dem Haargummi an meinem Handgelenk und band meine widerborstigen Locken zu einem Zopf zusammen.
»Danke, Mama.« Ich griff nach dem Haargummi an meinem Handgelenk und band meine widerborstigen Locken zu einem Zopf zusammen.
»Ich kann dir ein schickes graues
Kleid von mir leihen.«
Ich stieß einen Zischlaut aus, während ich versuchte eine Strähne zu bändigen, die sich immer wieder aus dem Zopf löste.
Ich stieß einen Zischlaut aus, während ich versuchte eine Strähne zu bändigen, die sich immer wieder aus dem Zopf löste.
»Ich hatte es nur einmal an, damals an
Gerdas 50. Geburtstag.«
»Und du meinst, ich sollte ein Kleid
tragen, dass fast dreißig Jahre alt ist?«
»Ach, es wird doch alles wieder
modern. Irgendwann. Außerdem schummelt der Schnitt locker fünf
Pfund weg.«
»Nein, danke.«
»Probier es doch wenigstens an.«
»Ich habe keine Zeit, Koko kommt in
zehn Minuten.«
»Das Anprobieren würde höchstens
drei Minuten
dauern.«
Augen rollend gab ich nach und fand
mich fünf Minuten später in einem dunkelgrauen Wollkleid wieder,
das vor dreißig Jahren bestimmt auch schon scheiße ausgesehen
hatte.
»Passt wie angegossen, Lucy.«
Energisch schüttelte ich den Kopf. Das
Kleid ging bis weit über die Knie. Es war sackartig geschnitten und
sah unmöglich aus. Dazu diese schreckliche Blume am Kragen. »Ich
ziehe das Grüne an«, sagte ich mit Nachdruck und bat meine Mutter
den Reißverschluss am Rücken zu öffnen.
Es klingelte. »Ich mach auf!«, rief
Nele von unten.
Meine Mutter zupfte an dem
Reißverschluss herum und fluchte leise.
»Was ist los?«
»Er klemmt.«
Ich seufzte laut. »Das ist nicht dein
Ernst, oder?«
Nach zwei Minuten ließ meine Mutter
sich erschöpft aufs Bett fallen. »Nele! Kommst du bitte mal her?«
Aber auch Nele hatte keinen Erfolg.
Egal wie sehr sie an dem Ding rüttelte. Dann ließ sie sich zu
meiner Mutter aufs Bett fallen und starrte mich an. Und dann lachte
sie lauthals.
»Das ist nicht witzig! Hol mir eine
Schere!«
»Nein!« Meine Mutter sprang auf. »Du
kannst das Kleid nicht kaputt machen. Ich hänge daran.«
»Und deswegen hast du es auch nur
einmal angezogen, ja?«
»Ich habe es mir für eine besondere Gelegenheit aufgehoben. Ich möchte es an deiner Hochzeit tragen.«
»Ich habe es mir für eine besondere Gelegenheit aufgehoben. Ich möchte es an deiner Hochzeit tragen.«
Nele prustete.
»Mama, Koko wartet unten und in
zwanzig Minuten verfällt unsere Platzreservierung im Le Petit, wenn
du also keine bessere Idee hast, wie ich aus diesem Kleid komme, dann
schneide ich es durch.«
»Behalte es doch an.«
»Spinnst du? Soll Koko in Ohnmacht
fallen, wenn er mich so sieht?«
»Also so ein ähnliches Kleid trug
Lady Cora in einer Folge von Downton Abbey.«
»Die Serie spielt in den zwanziger
Jahren, oder?«
Nele nickte. »Naja, also die erste
Folge beginnt an dem Tag, an dem die Titanic untergeht. Das war
glaube ich 1912.«
»Super. Für die Jungfernfahrt der
Titanic wäre ich also passend angezogen.«
»Ja, und das Beste daran wäre, das
Kleid würde dann auf den Meeresgrund sinken.«
»Zu schade. Vielleicht sollte ich Koko
bitten, mit mir eine Bootsfahrt zu unternehmen.«
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